Texte

Texte zur Malerei von Thomas Deyle

Thomas Deyles Bilder gehören, was ihre Entsch­ieden­heit und Rein­heit bet­rifft, ins Zen­trum des Puris­mus und wir sehen mit einem Blick auf die jün­gere und zeit­genös­sis­che Kun­st­geschichte, dass das Gedränge dort sehr groß ist – weniger wegen der Überzahl an Kün­stlern als vielmehr wegen der begren­zten Vielfalt, die hier als eigene Stan­dorte im ohne­hin kleinen Sek­tor erscheinen.

Deyle hat es den­noch geschafft, eine Eige­nart her­auszuar­beit­en, die mehr als nur eine tech­nis­che Dif­ferenz zu ver­gle­ich­baren Bemühun­gen bedeutet.

Sein The­ma ist die reine Farbe, die mono­chrom und ohne bin­nen­bildliche Form Bildgestalt hat. Farbe ist das Sub­jekt sein­er Bilder und zugle­ich im wörtlichen Sinne ihr Gegen­stand. Sie präsen­tiert sich als gle­icher­maßen materielle wie imma­terielle Erschei­n­ung und offen­bart in dieser Dialek­tik ihre fun­da­men­tal­en Qual­itäten sowie ihre Fähigkeit zur Dif­ferenz, die alles begrif­fliche Ver­mö­gen überschreitet.

Sie ist in ihrer bildlichen Erschei­n­ung ratio­nal begreif­bar und doch auch ein Medi­um des Irra­tionalen. Sie ist Fläche und eben­so virtueller Raum, ist als Bil­dob­jekt Physik und eröffnet zugle­ich meta­ph­ysis­che Aspek­te des Raumes.

In terms of deci­sive­ness and puri­ty, Thomas Deyle‘s paint­ings are right at the cen­ter of purism, and a view to recent and con­tem­po­rary art his­to­ry, we can rec­og­nize that it is get­ting crowd­ed there – less so because of too many artists than rather due to the lim­it­ed diver­si­ty giv­en, that the artists appear here with their own posi­tions in an any­way small sector. 

Deyle has nev­er­the­less man­aged to work out a char­ac­ter­is­tic fea­ture, which con­sti­tutes more than mere­ly a tech­ni­cal dif­fer­ence to com­pa­ra­ble sim­il­iar efforts. 

His theme is pure col­or, that finds expres­sion in a mono­chrome paint­ing hav­ing no inner-pic­to­r­i­al shape. Col­or is the sub­ject of his paint­ings and at the same time, lit­er­al­ly, their object. It presents itself as an equal­ly mate­r­i­al and imma­te­r­i­al phe­nom­e­non and in this dialec­tics, reveals its fun­da­men­tal qual­i­ties as well as its capa­bil­i­ty of being dif­fer­ent, which goes beyond all con­cep­tu­al capacity. 

It may be grasped ratio­nal­ly in its pic­to­r­i­al appear­ance and yet it is also a medi­um of the irra­tional. It is sur­face and like­wise vir­tu­al space, as a paint­ing object it is physics and , at the same time opens up meta­phys­i­cal aspects of space.

Lothar Romain
(1944–2005)

Galeriev­ere­in Leon­berg e. V.
Ausstel­lung
Thomas Deyle Lichtwerk
Vernissage am 17. Sep­tem­ber 2019

Vor gut 100 Jahren kul­minierten die künstlerischen Entwick­lun­gen der Klas­sis­chen Mod­erne in der völ­li­gen Gegen­stand­slosigkeit. Wass­i­ly Kandin­sky schuf von der Real­welt zunehmend los­gelöste Form- und Far­b­ex­plo­sio­nen, Kasimir Male­witsch radikalisierte die Abstrak­tion bis hin zum Schwarzen Quadrat auf weißem Grund. Nach Gegen­be­we­gun­gen der 20er- und 30erJahre fol­gte nach 1945 die zweite Welle der abstrak­ten Malerei. Von den USA aus­ge­hende Strö­mungen wie Min­i­mal Art, Colour Field Paint­ing oder der Abstrak­te Expres­sion­is­mus loteten, wie es schien, alle Möglichkeit­en ein­er von der Real­welt gelösten Bild­welt aus. Die Geschichte der abstrak­ten Malerei galt Anfang der 60er-Jahre als auserzählt. Mit der Pop Art begann jene Rückkehr zur Gegen­ständlichkeit, die in unter­schiedlich­sten Facetten bis heute den Kun­st­markt prägt. Unter den kom­merziell erfol­gre­ich­sten Malern der Gegen­wart find­en sich nur noch vere­inzelt Vertreter der Abstrak­tion. …
lst deren Erzäh­lung also wirk­lich kein weit­eres Kapi­tel mehr hinzuzufügen?
Thomas Deyle bringt den Mut auf, diese Frage zu beja­hen.
Seit rund 30 Jahren wen­det sich der 1957 in München geborene Künstler einem in der Geschichte der Malerei keines­falls neuen The­ma zu: Licht und Farbe.
Um so erstaunlich­er mutet es an, dass es ihm durch alle Werkphasen hin­durch gelingt, neue und indi­vidu­elle Antworten auf Fra­gen zu geben, die etwa die Farbfeld­malerei oder die »Radikale Malerei« schon vor Jahrzehn­ten gestellt hat­ten.
Überblickt man sein Gesamtwerk, so scheint dieses wie im Zeitraf­fer die Entwick­lung der Kun­st der let­zten 200 Jahre zu durch­laufen: max­i­male Gegen­ständlichkeit reduziert sich zu völ­lieer Gegen­stand­sl­seigkgil. So standen am Anfang foto­re­al­is­tis­che Arbeit­en, deren Motive Deyle auf Schrottplätzen und Aut­ofried­höfen fand. Dabei fokussierte sich sein lnter­esse schon bald auf jene Ober­flächen­bere­iche, die durch Run­dung, Verz­er­rung oder Ein­del­lung eine deut­liche Licht-Schat­ten-Mod­el­lierung aufwiesen. Die daraus resul­tieren­den Far­b­ver­läufe soll­ten sich Jahre später zum Leit­mo­tiv seines Werks entwick­eln. Doch ver­lief der Weg dor­thin keines­falls ger­adlin­ig. Vielmehr bog Thomas Deyle in den 80er-Jahren noch ein­mal auf eine vom abstrak­ten Expres­sion­is­mus geprägte Straße ab. Weg­weis­er war die inten­sive Auseinan­der­set­zung mit dem US-amerikanis­chen Pin­sel­berserk­er Willem de Koon­ing, unter dessen peitschen­den Farb­hieben das Aus­gangsmo­tiv ger­adezu zertrümmert wor­den war.
Der wild bewegte Far­bauf­trag wurde zum eigentlichen The­ma in Thomas Deyles Werk. Die Entwick­lung eines indi­vidu­ellen Duk­tus, ein­er per­sön­lichen Pin­selschrift erhielt durch die Arbeit­en Cy Twomblys weit­ere entschei­dende lmpulse.
Die Abkehr von dieser Werkphase man­i­festierte sich zulet­zt im Zer­stören, im Zer­reißen ver­wor­fen­er Arbeit­en, deren Frag­mente zu Col­la­gen arrang­iert wur­den. Diese frühen Arbeit­en wer­den als Doku­mente des Anfangs ein­er strin­gen­ten und kon­se­quenten Entwick­lung – zum ersten Mal seit langer Zeit – in der Leon­berg­er Ausstel­lung gezeigt. ln unruhigem Strich aufge­tra­gene Par­tien trat­en neben mono­chrome Farbflächen. Let­zteren sollte die Zukun­ft in Thomas Deyles Werk gehören. So gelangte er Ende der 1980erJahre zu jenen von Gegen­stand und per­sön­lich­er Pin­selschrift gelösten Arbeit­en, die sein Œuvre bis heute prä­gen.
Gle­ich­sam ein Scharnier zwis­chen diesen bei­den Werkphasen bildet die groß­for­matige Arbeit »Kom­po­si­tion 1989«, in denen ein tief­blaues Rechteck die mit bre­it-bewegtem Pin­sel­strich aufge­tra­ge­nen Bere­iche überdeckt und an den Rand drängt.
For­t­an löste sich Thomas Deyles inten­sive Auseinan­der­set­zung mit Licht und Farbe endgültig vom Gegen­stand. Der indi­vidu­elle Duk­tus wich einem gewalzten Far­bauf­trag. Das Vib­ri­eren des imma­teriellen Lichts mate­ri­al­isiert sich in mono­chromen Farbflächen oder Far­b­ver­läufen. Mit Glas, später Plex­i­glas als Bildträger eröffneten sich völ­lig neue Möglichkeit­en der Bildgestal­tung und ‑wirkung. Zunehmend wichen die bis zum Rand deck­end aufge­bracht­en Allover-Paint­ings Farb­struk­tu­ien, die sich vom trans­par­enten Rand zum Zen­trum hin verdicht­en und so zum räum­lichen Erschei­n­ungs­bild der Flächen beitra­gen. Durch den durch­sichti­gen Bildträger schweben die rechteck­i­gen oder run­den Farb­wolken als gle­icher­maßen durch­dringlich­es wie in stetiger Verän­derung begrif­f­enes Gebilde im neu­tralen Raum. Das Bild löst sich im Auge des Betra­chters vom Bildträger. Selb­st die far­bgeben­den Ele­mente scheinen sich aus dem binden­den Acryl zu befreien und einen Nebel aus reinem Pig­ment zu bilden.
Aus der Farbfläche wird ein Far­braum von unendlich scheinen­der Tiefe. Diese ver­bildlicht u. a. jene Erfahrung räum­lich­er unbe­gren­ztheit, die Thomas Deyle 1989 in den land­schaftlichen Weit­en der USA erlebt hat­te.
Voraus­set­zung dieser beein­druck­enden Sicht­bar­ma­chung höchst sen­si­blen Farb- und Lichtempfind­ens ist ein sehr bewusster, tech­nisch höchst aufwändi­ger Mal­prozess: nahezu exerz­i­tien­haft trägt Thomas Deyle mit der Kun­st­stof­fwalze hun­derte, bisweilen über L000 lasierende Farb­schicht­en auf eine Plex­i­glas­plat­te auf. Mit zunehmender Über­lagerung der nahezu trans­par­enten schicht­en sät­tigt und verdichtet sich die Farbe zum Zen­trum hin. Durch Übere­inan­der­legen unter­schiedlich­er Farbtöne entste­hen gle­ich­mäßige, fast unmerk­liche Far­b­ver­läufe. Zur Begren­zung der jew­eils näch­sten Farb­schich­tung arbeit­et er mit flex­i­bel über den Bildträgern ges­pan­nten Gum­mibän­dern, die nach zuvor fest­ge­set­zten Abstandspa­ra­me­tern ver­set­zt wer­den. Da dies nur bei rechteck­i­gen oder qua­dratis­chen Arbeit­en prak­tik­a­bel ist, entwick­elte er für die aus run­den Bildern beste­hende Werk­serie »Can­dela« gemein­sam mit einem Künstlerkollegen eine Zirke­lap­pa­ratur, die man sich am ehesten als »Farb­walzenkarusell« vorstellen kann. …
Die Para­me­ter sein­er Farb­schich­tun­gen leit­et Thomas Deyle aus vor­ab frei geze­ich­neten Para­beln und daraus berech­neten Koor­di­nat­en ab. Die von ihnen fest­gelegten Schich­tun­gen wer­den als Zahlenkolon­nen auf den Zeich­nun­gen doku­men­tiert. Diese vor­bere­i­t­en­den und begleit­eten Grafiken präsen­tiert der synäs­thetisch empfind­ende Sohn eines Diri­gen­ten als »Par­ti­turen«, die, bei
verän­der­bar­er lnter­pre­ta­tion, wieder­hol­bar wären. Mit diesen beglei­t­en­den Grafiken legt er sich und dem Betra­chter Rechen­schaft über den math­e­ma­tisch-ratio­nalen Teil der Bild­ge­nese ab. Zugle­ich offen­bart er den gegen­ständlichen Aus­gangspunk­ts ein­er gegen­stand­slosen Kun­st. So wer­den u. a. bunte Käfer zur lnspi­ra­tion von Far­bkom­bi­na­tio­nen, während die Run­dung ihrer angelegten Flügel durch den mod­el­lieren­den Kör­per­schat­ten zum Aus­gang­sunkt eines Hell-Dunkel-Ver­laufs inner­halb der gle­ichen Farbe wird. …
Trotz vordergründig voll­ständi­ger Abstrak­tion entste­hen Thomas Deyles Arbeit­en häu­fig vor dem Hin­ter­grund inhaltlich­er Vorstel­lun­gen. Die Wech­sel­wirkung zwis­chen gegen­ständlichem Aus­gangs­ma­te­r­i­al und während des Mal­prozess­es entste­hen­der Gegen­stand­sas­sozi­a­tio­nen man­i­festiert sich auch in den Bildtiteln. Den Stan­dard­ti­tel abstrak­ter Kun­st »ohne Titel« sucht man vergebens.
Die Bild- und Titelfind­ung exem­pli­fiziert die Par­ti­tur zu ein­er »Albe­do Lee Sklar« benan­nten Arbeit, in der Thomas Deyle ein sein­er­seits schon stark abstrahieren­des Land­schafts­gemäldes Ger­hard Richters zu einem Nat­uras­sozi­a­tio­nen wahren­den Farb­nebel reduziert. Der Titel unter­stre­icht noch ein­mal die bei­den Pole der Werk­ge­nese: drückt sich der ratio­nale im Arbe­los, der aus drei Hal­bkreisen kon­stru­ierten Archimedis­chen Sichel, aus, so weist der Name des Ses­sion­bassis­ten Leland »Lee« Sklar auf den emo­tionalen, häu­flg musikalisch inspiri­erten Zugang hin.
Zulet­zt sei in diesem Zusam­men­hang noch auf die mehrteilige Arbeit »Louise O’Mur­phy” ver­wiesen, deren Titel sich auf die Mätresse des franzö­sis­chen Königs Lud­wig XV. bezieht. Diese hat­te durch mehrere Por­traits François Bouch­ers, einem Pro­tag­o­nis­ten der Rokoko-Malerei, Ein­gang in die Kun­st­geschichte gefun­den. … Die laszive Erotik abstrahiert Thomas Deyle zu ein­er Farb­sinnlichkeit, die er durch die Wahl unter­schiedlich­er Bildträger, Glas und Lein­wand, in ihrer Wirkung dif­feren­ziert. Zudem ergibt sich in der Hän­gung eine räum­liche Ver­schiebung der Bildebe­nen, die uns zu den jüngsten, eigens für die Ausstel­lung gestal­teten Arbeit­en führt. …
Von der räum­lichen Wirkung der zwei­di­men­sion­alen Arbeit­en war es nur ein kurz­er Schritt zu deren Ver­räum­lichun­gen in die dritte Dimen­sion. Die auf Abstand gelegten Acryl­glas­blöcke der mit »Sun­nySide­Up« betitel­ten Arbeit­en präsen­tieren sich bei verän­dertem Betra­chter­stand­punkt in stetiger Verän­derung. Erscheinen die nur auf ihrer Ober­seite bemal­ten Quad­er aus der Nähe all­seit­ig kolo­ri­ert, so offen­bart sich deren Trans­parenz nur bei aus­re­ichen­dem Abstand. Das geschlossene Vol­u­men lässt jenen Umraum ein, zu dem es sich ohne­hin durch die Abstände zwis­chen den einzel­nen Blöck­en öffnet. Die Arbeit im Raum arbeit­et mit dem Raum.
lnner­halb dieses math­e­ma­tisch-ratio­nalen Entste­hung­sprozess­es lässt Deyle sich und sein­er Kun­st aber Raum für lntu­ition, indem er das Aus­gangskonzept im Sinne der Wirkungsab­sicht während der Bildgestal­tung immer wieder kor­rigiert.
Auf Unwäg­barkeit­en in der far­blichen Erschei­n­ung reagiert er durch die Nachjustierung der ursprünglichen Vor­gaben. Der Zufall bleibt nicht dem Zufall überlassen.
So entste­hen Arbeit­en, die bei aller Ratio­nal­ität des Konzeptes noch die Expres­siv­ität des Frühwerks wahren und die Emo­tion­al­ität der Farbe in den Mit­telpunkt der Bild­wirkung rücken.
Thomas Deyles umfan­gre­ich­es Werk führt unter­schiedliche Strö­mungen der Nachkriegsab­strak­tion zusam­men, von denen exem­plar­isch die med­i­ta­tiv­en, far­bgetränk­ten Lein­wände Mark Rothkos oder die den Betra­chter in Far­bräume hüllenden Groß­for­mate Bar­nett New­mans genan­nt seien. Durch die Verbindung und Wech­sel­wirkung von lntu­ition und lntellekt, von Zufall und Zahlenkolonne, ent­ge­ht er aber eben­so der Gefahr der Epig­o­nal­ität wie durch das stetige Hin­ter­fra­gen des eige­nen Tuns.
Hinzu kommt eine handw­erk­liche Per­fek­tion, die jenen Per­fek­tion­is­mus zur Voraus­set­zung hat, der auch die vom Künstler bewusst auf Raum und Licht abges­timmte Hän­gung der aktuellen Ausstel­lung prägt. …
ln allen Arbeit­en präsent breibt die auf sen­si­ber­ster wahrnehmung beruhende Auseinan­der­set­zung mit dem Licht. Zu gut kann man sich den Maler als stun­den­lang geduldigen Beobachter des Lichts, sein­er kaum merk­lichen Verän­derun­gen und Bewe­gun­gen vorstellen. So gut, dass man ver­sucht ist, den Titel der umfan­gre­ichen Werk­serie »Licht­deuter« auf ihren Schöpfer zu übertragen.
Thomas Deyle ist Maler. Durch und durch.
Ein Maler, der – nach mein­er Erfahrung darin eher Aus­nahme als Regel – nicht nur sich, son­dern auch dem Betra­chter Rechen­schaft über seine Arbeit abzule­gen und span­nende Ein­bll­cke in sein Werk zu geben ver­mag.
Der Künstler ist anwe­send.
Nutzen Sie diese Gelegenheit.

Markus Golser

Der Kul­tur­blog von Rain­er Zerb­st
https://www.rainer-zerbst.de/transzendenz-der-farbe-thomas-deyle-in-der-galerie-schlichtenmaier/#more-2523
Tran­szen­denz der Farbe: Thomas Deyle in der Galerie Schlicht­en­maier
Man kann gele­gentlich den Ein­druck gewin­nen, unsere optis­che Wahrnehmung sei reine Sinnestäuschung, doch dazu tra­gen wir ein Gut­teil selb­st bei. So sagen wir: Das Kleid ist blau und behaupten damit, die Farbe sei eine Eigen­schaft des Stoffs. Doch in Wirk­lichkeit kommt der Ein­druck „blau“ erst durch das Zusam­men­wirken von Augen und Gehirn zus­tande, und die Augen nehmen nur die vom Objekt reflek­tierte elek­tro­mag­netis­che Strahlung wahr, also das, was vom Objekt nicht aufge­so­gen wurde. Ohne Licht also gäbe es für uns keine Far­ben. Das sollte man im Kopf haben, wenn man vor den Bildern von Thomas Deyle steht.

Licht­deuter No 21, 2019 © VG Bild-Kun­st, Bonn, 2019

Bei Thomas Deyle strahlt alles von innen her­aus. Man meint, es han­dle sich bei Deyles Far­bob­jek­ten um Glaskästen, die von innen her durch eine far­bige Ober­schicht erleuchtet wer­den. Der Ein­druck Glas ist auch gar nicht so falsch, Deyle wählt als Bild­grund stets eine Acryl­glas­plat­te. Und der Ein­druck, es han­dle sich um Glaskästen, rührt daher, dass diese Glas­plat­ten einige Mil­lime­ter vor der Wand hän­gen. Doch der Rest dieses ersten Ein­drucks ist falsch. Deyle ist, wenn man so will, ein herkömm­lich­er Maler, der auf eine Plat­te Farbe aufträgt, zwar nicht mit dem Pin­sel, son­dern mit ein­er Walze, aber es ist ganz gewöhn­liche Acryl­farbe, die er freilich selb­st her­stellt, denn für sein Ver­fahren benötigt er eine ganz dünne Farb­struk­tur. 2

Bis zu tausend Schicht­en trägt er so auf die Plat­ten auf. Das kann mal eine einzige Farbe sein, auf anderen Bildern wiederum chang­ieren mehrere Far­ben, gehen in andere über, kaum merk­lich, als ver­schmölzen sie wie von selb­st miteinan­der und ver­wan­del­ten sich dabei. Die einzel­nen Farb­schicht­en sind unter­schiedlich groß, sodass man an den Rän­dern Deyles Mal­tech­nik nachvol­lziehen kann.

Scarabaeus No 1, 2017 © VG Bild-Kun­st, Bonn, 2019

Eigentlich müsste bei so vie­len Schicht­en das Ergeb­nis stets gle­ich sein: tiefes Schwarz, und das ist in einem Fall auch geschehen, obwohl man das nur am Orig­i­nal sieht, fotografis­che Wieder­gaben sein­er Werke lassen sich kaum her­stellen, da ver­schwimmt alles und die Far­ben wer­den ver­fälscht. Von den Rän­dern her freilich sieht man, dass dieses Schwarz aus einem Blau resul­tiert, und nicht ein­mal einem beson­ders dun­klen. Da die Schicht­en so dünn und trans­par­ent sind, ist Schwarz die Aus­nahme.
Damit kön­nte man Deyle ein­rei­hen in die Tra­di­tion der Farbfeld­malerei, die Hard­edgekun­st, kön­nte an einen Mark Rothko denken, dessen Bild­flächen ähn­lich wie die Deyles den Betra­chter zur Reflex­ion, zur Versenkung her­aus­fordern. Aber Deyles Bilder sind mit diesen Tra­di­tio­nen nicht ver­gle­ich­bar, denn es sind keine Bild­flächen, es sind undefinier­bare Gebilde. Zum einen ist da das magis­che Leucht­en, das man sich nicht erk­lären kann, das wie aus ein­er anderen Sphäre als der irdis­chen zu kom­men scheint. Durch dieses Leucht­en löst sich der Ein­druck ein­er Farbfläche auf, aus der die Bilder aber auch bei ihm auss­chließlich beste­hen. Die Flächen scheinen sich zu einem Far­braum auszudehnen. Mal wirken diese „Räume“ der Schw­erkraft unter­wor­fen, die „kom­pak­ter“ wirk­enden Farbpol­ster scheinen nach unten abge­sunken zu sein. Mal aber erheben sie sich selt­samer­weise auch nach oben, und die uns ver­traute Zuord­nung von oben = leicht, unten = schw­er wird erschüt­tert. 3

Vor allem aber fehlt diesen Bildern, wiewohl sie aus tausend Schicht­en gewöhn­lich­er Acryl­farbe beste­hen und also stof­flich sind, jegliche greif­bare Sub­stanz. Man meint, man würde in eine far­bige Gas­wolke ein­tauchen, wenn man mit einem Fin­ger in die Far­bräume vor­drin­gen würde.

Par­ti­tur (Big Van Rijn), 2016 © VG Bild-Kun­st, Bonn, 2019

Dabei ließ sich Deyle zu so manchen Bildern von real existieren­den Ölgemälden inspiri­eren, Rem­brandt zum Beispiel. Da er zu jedem Bild eine Art Arbeit­s­plan her­stellt, eine »Par­ti­tur«, kann man genau erken­nen, welchen kleinen Teil aus einem Rem­brandt­gemälde er als Far­banstoß zu seinen eige­nen Bildern genom­men hat.
Und noch etwas macht diese Bilder zu etwas Einzi­gar­tigem: Sie scheinen nicht nur abso­lut sub­stan­z­los, schw­ere­los, sie scheinen zudem in ständi­ger Bewe­gung. Von Deyles Bildern geht ein Schwin­gen aus, als wären es kinetis­che Gebilde. So tran­szendiert dieser Kün­stler alle Gren­zen und Seins­be­din­gun­gen gemal­ter Bilder, obwohl auch er nichts anderes tut als eben zu malen, und er führt uns mit seinen Farbflächen vor, was Farbe let­ztlich für unser Augen eigentlich ist: pures Licht. Damit sucht er seines­gle­ichen.
»Thomas Deyle – Licht­deuter«, Galerie Schlicht­en­maier, Stuttgart, bis 30.11.2019
Dieser Beitrag wurde unter Kun­st abgelegt am 10. Novem­ber 2019.